Die Gefühle der Chinesen

Ein Vorurteil besagt, die Chinesen würden gefühllos sein oder ihre Gefühle unter Kontrolle haben. Auch sonst ist wenig über das Gefühlsleben bekannt.

Viele Chinesen leben in den oft winzigen Wohnungen, die dabei noch mit mehreren Generationen geteilt werden. So wird jeder Platz benutzt, den man hat. Man kann sogar sagen, daß die Straße das Wohnzimmer vieler Chinesen ist. Hier wird gegessen, Karten gespielt, sich unterhalten und hier streitet man sich auch.

Sicherlich muß bei so einer Bevölkerungsdichte oft zurückgesteckt werden, aber jeder Emotionsstau muß sich irgendwann entladen.

Die Chinesen zeigen sehr wohl ihre Gefühle, gelegentlich kommt es sogar zu richtigen Gefühlsausbrüchen. Im alltäglichen Leben erlebt man viel Freude, Spaß, aber gelegentlich auch Streitereien. 

Freunde und Kollegen singen bei der Arbeit und auf der Straße. Freundschaft wird häufig mit leichten Umarmungen und auch mit kleineren Streicheleien gezeigt. Wie ich schon geschrieben hatte, laufen oft Männer Arm in Arm durch die Straßen, ohne daß sich jemand etwas Sexuelles dabei denken würde. Die Mädels berichteten, daß auch die Jungen im Deutschunterricht hemmungslos kuscheln und somit ihr Bedürfnis auf körperliche Nähe befriedigen. Als wir zum ersten Mal in der Karaokebar waren, heulte ein junger Mann so bitterlich auf der Toilette, daß er gestützt werden mußte. Beim zweiten Mal erlebten wir hautnah eine Schlägerei, als zwei, sich prügelnde Männer im Westernstil in unsere Kabine gefallen sind. Auf dem "People´s Square" erlebten wir eine "Beinaheschägerei" zwischen zwei ca. 18-jährigen Mädchen, die dabei zwei größere Gruppen einbezogen. Zu unserem Erstaunen ging diese Gesamtgruppe deutlich friedlicher vom Platz, jedoch konnten wir nicht verfolgen, was danach passiert ist. Einmal erlebten wir etwas wie einen Ehekrach auf der Straße, als ein etwa zehnjähriger Junge mit gesenktem Kopf, hängenden Armen und vielen Tränen zusehen mußte, wie sich seine Eltern anbrüllten. Auf dem Weg zur Arbeit hatte mich einmal eine junge Frau fast umgelaufen, als sie laut ins Handy geschluchzt hat, und die Mädels mußten Zeugen eines Gefühlsausbuches ganz anderer Art werden, als sie im Taxi saßen und ein Mann direkt vor dem Fenster hocherregt seine ganze Männlichkeit präsentierte. 

Vor allem im Straßenverkehr wird geschimpft, was die Stimmbänder hergeben, und auf den Märkten versuchen viele Händler Mitleid zu erzeugen, indem sie traurige Geschichten über ihre 50 Kinder erzählen.

In der Innenstadt ist oft ein Bettler, der stundenlang auf den Knien die Passanten anbettelt. Dabei wagt er nicht einmal,  nach oben zu schauen, und oft weint er.

 

Networking China

Ein weiteres, tief sitzendes Vorurteil ist die Bestechungspraktik in China. Hierbei muß man sagen, daß Bestechung schwer strafbar ist und auch in China inzwischen (anscheinend) stark verfolgt wird.

Hier wird jedoch unterschieden, welche Art der Bestechung es gibt. Zum einen gibt es die "gute Zusammenarbeit", bei der alle Parteien profitieren, wenn es einen zusätzlichen Anreiz gibt, noch besser zu arbeiten. Andererseits gibt es auch noch die Bestechung, wenn Dritten ein Schaden durch diese Einflußnahme entsteht.

Über diese beiden Themen kann ich als kleiner Student nicht viel schreiben, aber es ist klar erkennbar, daß sich auch einige junge Studenten um "Guanxi", also "Beziehungen" oder "Kontakte",  bemühen.

Es schadet nie, jemanden irgendwo zu kennen und sich mit ihm gut zu stellen, und auch kleine Geschenke oder Gefälligkeiten bringen den Partner zwar nicht in Zugzwang, aber es besteht zumindest eine gewisse Schuldigkeit, wobei man irgendwann um deren Einlösung gebeten werden könnte. Wer sich also früh um sein Umfeld sorgt und kümmert, wird immer gut abgesichert sein.

Auch eine kleine Tafel Schokolade oder ähnliches können somit den Gang der Dinge, bei Kleinigkeiten, deutlich beschleunigen, wenn man etwas erreichen will. Ein Geschenk abzulehnen kann wiederum sehr erniedrigend sein, was man also lieber nicht machen sollte.

Es entsteht also schnell eine Art Verbundenheit und es fällt einem automatisch schwer, einen Wunsch auszuschlagen.

Andererseits wird sich bemüht, diesen Wunsch so gut wie möglich zu erfüllen, um selbst wieder Punkte sammeln zu können.

Es wundert sich auch niemand, wenn Verwandte anrufen, von denen man noch nie gehört hat, aber mit denen man um tausend Ecken verwandt zu sein scheint, die um etwas bitten.

Dieses System der gegenseitigen Hilfe scheint gut zu funktionieren und wenn man jemanden sieht, der nach etwas aussieht, denkt man sich, daß dieser Mann viele einflußreiche Männer kennt.

Nächster Bericht>>>    zurück zu Jans Chinaseite>>>    zurück zu weustink.de>>>